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Trauer

Ich trauere

Nun schon seit über 2 Jahren

Ich werde hier keine Tipps oder Leitfaden geben. An diesem Punkt der Verarbeitung bin ich glaube noch lange nicht.

Ich habe mir aber überlegt, von Zeit zu Zeit über dieses Gefühl zu schreiben. Vielleicht entsteht ja etwas daraus. Wer weiß?



Leonidas

Ich trauere um mein Kind, um meinen Sohn. Leon.

Leonidas eigentlich, ein starker Name. Er bedeutet der Löwengleiche. Uns gefiel der Name. Und er gefällt uns immer noch. Anfangs dachten wir, der Name Leonidas wird einfach nur in den Papieren stehen und wir rufen ihn einfach Leon. Das war auch lange Zeit so, bis er in den Kindergarten kam. Da es einige Kinder gab die Leon, Leo, Neo und Lennart hießen, fragten die Erzieher Leon, wie er denn genannt werden möchte. Hier wurde ihm bewusst, dass Leon eigentlich nur eine Abkürzung ist. Von da an stellte er sich selbst jedem als Leonidas vor. Für uns war das interessant, alle Freunde und Verwandte nannten ihn Leon. Die Leute, die wir von Kindergarten, Schule oder später kennenlernten, nannten ihn alle Leonidas.

Damit hatten wir nicht gerechnet und es war schön, dass er das ganz selbständig für sich so entschieden hat. Das hat uns gefallen.



Und dann klingelte es an der Tür. Es war Mittagszeit. Normalerweise wäre ich nicht zu Hause gewesen, aber ich hatte mir eine Woche Urlaub genommen. Das war der Grund, warum ich zu Hause war und die Tür öffnete. Polizeibeamte standen an der Tür. Fragten ob ich ich wäre. Ob ich alleine wäre und ob sie reinkommen dürften. Ich wollte die Türe hinter den beiden Polizeibeamten schließen, aber sie meinten, Moment, da kommt noch jemand.

Ganz klassisch, wie man es aus dem Film kennt, ging es weiter.

Bitte setzen Sie sich erstmal…

Ich wusste in diesem Moment nur, die Nachricht wird sicher eine schlechte sein.


Aber damit hatte ich nicht gerechnet

Nicht mit so einer schlechten Nachricht.

Wir haben Ihren Sohn tot aufgefunden.


Von diesem Moment an, war in meinem Leben nichts mehr wie es war. Gar nichts mehr.

Meine Gedanken rasten nur so, mein Herz klopfte bis zum Hals.

Das war alles nicht wahr. Das kann nicht wahr sein.

Ich kann nicht sagen, wie lange ich das gedacht habe und eigentlich immer noch denke. Eben heute noch kommt immer wieder der Gedanke, dass es nicht wahr sein kann.

Oder doch?

Ja. Es ist wahr.

Es tut weh

Unendlich

Diese Leere, diese Lücke die da entstanden ist. Dort ist ein Schmerz, der nicht zu beschreiben ist.


Der Schmerz hat sich verändert. Ich möchte nicht sagen, er ist weniger geworden oder gar besser. Ich empfinde es, als hätte er sich einfach nur verändert.

Viele beschreiben es anders.

Und ich finde, hier spürt man deutlich, wie schwierig dieses Thema ist.

Ich glaube es gibt kein anderes Gefühl, das so unterschiedlich ist bei den Menschen, die dieses Gefühl erfahren müssen. Kein anderes Gefühl scheint anders im Empfinden und im Umgang zu sein wie dieses.

Wut, Angst und Ärger. Das sind alles zum Beispiel Gefühle, die sich bei jedem ähnlich anfühlen, wir alle ähnlich reagieren. Nicht bei Trauer.


Was mir gut tut, was mir hilft, was mich tröstet.. das ist alles, was anderen vielleicht überhaupt nicht hilft. Was in ihnen noch mehr Schmerz auslöst oder sie noch mehr triggert.

Ich selbst erlebe mich ständig im Wechsel. Was mir gestern noch gut tat, ein Lied das mich noch getröstet hat, ist heute schon so schmerzvoll, dass ich es nicht hören kann. Und es kann sein, dass es mich aber beim nächsten Mal wieder tröstet. Oft liegt nicht mal ein Tag dazwischen, manchmal nur Stunden oder Minuten. Im einen Moment tut es dir gut und dann im nächsten Moment übermannt dich die Trauer, der Schmerz.

Eine Achterbahn mit Überschlag.

Es ist ein ständiges Auf und Ab, Hin und Her. Ein Wechselbad der Gefühle.

Mir geht's gut, ich fühle mich ok. Das ist der Satz im einen Moment.

Ich halte das alles nicht mehr aus, ich kann diesen Schmerz nicht mehr ertragen. Ich vermisse ihn so sehr, dass mein Herz im wahrsten Sinne des Wortes blutet. Das sind Sätze im nächsten Moment. Dazwischen liegen manchmal nur ein paar Sekunden.


Erinnerungen

Im einen Moment lächelt man über eine schöne Erinnerung die einem in den Kopf schießt, getriggert von irgendwas. Meistens weiß ich gar nicht genau was. Und die gleiche Erinnerung, löst manchmal aber auch einen Schmerz aus. Es ist kaum auszuhalten, es zerreißt einen.


Und dieser ständige Wechsel kostet so unglaublich viel Kraft und Energie.

Jemand sagte mir, das eigene Kind zu verlieren ist, wie wenn dir jemand Gliedmaßen abschneidet.

Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstand was das bedeutet.

Heute muss ich sagen ja! Ich weiß ganz genau was diese Person damit gemeint hat.

Wir müssen weiterleben, weiter unseren Alltag bewältigen, arbeiten gehen, sich um Familie kümmern, soziale Kontakte pflegen. Alltag eben, was jeder andere auch zu tragen hat.

Nur eben gefühlt ohne Gliedmaßen. Vielleicht nicht ohne alle. Aber es fehlt mehr als eine Gliedmaße auf jeden Fall.

Alles zu stemmen, zu ertragen, zu händeln, ohne vollständig zu sein.

Es kostet mehr Kraft und Energie. Wir tragen zusätzliche Pakete mit uns herum.


Es ist so anstrengend.

Manchmal mag man einfach liegen bleiben, nicht aufstehen, sich unter der Decke verstecken und dann aufwachen, schweißgebadet… es war nur ein Traum.

Nein, war es nicht. Es ist echt. Alles. Die ganze traurige Geschichte.


Das alles ist aber nur der Teil, mit dem wir mit uns kämpfen.

Damit meine ich, wir haben alle Familie, Freunde, Bekannte, Nachbarn, Arbeitskollegen…

Wie geht's dir?

Gut

Das ist eine einfache Antwort, nicht ehrlich. Aber einfach.

Verstehen tun einen wirklich wenige. Nicht weil sie nicht wollen, nein. Weil sie nicht können. Wie es ist, sein eigenes Kind zu verlieren, kann man nicht nachempfinden oder verstehen. Es zu erklären ist mühsam und anstrengend. Letztendlich kann man nur einen kleinen Einblick verschaffen, wie es in einem aussieht und wie man sich fühlt... die einfache Antwort kostet einfach deutlich weniger Kraft.


Und ob man verstanden wird oder nicht.

Es kommt die Zeit, dass man nicht ständig darüber sprechen möchte. Und ganz oft auch einfach nicht drüber sprechen kann. Dann kommt die Zeit, da würde man gerne, aber man hat dem Umfeld suggeriert einem geht's gut, dann fragt dich in diesem Moment keiner.

Ich komme mir manchmal vor wie ein Teenager. Ich weiß nicht was ich will, ich weiß nicht was ich empfinde.

Ich schaffe es manchmal, vom Weinen ins Lachen zu kommen. Und umgekehrt.

Es ist ein einziges Chaos an Gefühlen.

Und nicht nur das.

Es ist der totale Kontrollverlust über seine eigenen Gefühle. Und eigentlich nicht nur über Gefühle, über alles eigentlich.

Man hat nichts mehr im Griff.

Die Trauer fällt mich heute noch von hinten unerwartet an.

Das ist für mich immer noch das schlimmste. Ein kleiner Gedanke, eine Liedtextzeile, ein Thema… oh es gibt so viele Trigger. Und selbst hier ist man mit sich selbst nicht einig. Ich bin dankbar, dass mich so vieles triggert, dann erinnere ich mich auch viel an Leon. Ich hasse es, dass mich so vieles triggert, weil es jedes Mal ein unerträglicher Schmerz ist.

Jedes Mal wird einem bewusst, er ist nicht da. Er kommt nicht wieder. Nichts mehr wird sein wie es mal war…

Man dreht sich im Kreis

Immer und immer wieder

Und es hört nicht auf


Es hört nicht auf.

Die Zeit geht weiter, die Erde dreht sich einfach weiter. Jeden Moment, egal wie es dir gerade geht. Andere Betroffene haben genau davon erzählt, wie unerträglich sie es finden, dass es einfach weitergeht. Ich konnte es eine ganze Weile nicht nachvollziehen.

Doch jetzt, ja! Die Zeit geht immer weiter, die Zeit in der du nicht mehr bei uns bist wird immer mehr. Es ist immer noch länger her, seit du bei uns warst. Ich will das nicht. Man möchte die Zeit wenigstens anhalten, wenn man sie schon nicht zurückdrehen kann. Und ich kann nichts dagegen tun.

Die Erde dreht sich unverschämterweise einfach weiter. Ich kann sie nicht anhalten.

Es ist als wird Leon immer weniger greifbar, wie ein Geräusch das immer leiser wird.

Die Panik entsteht, man könnte Erinnerungen vergessen, Mimik vergessen, typische Dinge die er immer gesagt hat, sein Lachen, seine Stimme…

Was ist mit den Erinnerungen, die nur ich mit ihm habe?

Dieses „weißt du noch“, „kannst du dich noch erinnern…“ das gibt es nicht. Was ich jetzt vergesse, ist vergessen.

Ein unerträglicher Gedanke

Man möchte alles aufschreiben.

Es tut weh, mir tut es weh es aufzuschreiben und dennoch quält mich die Panik des Vergessens.


Vielleicht hat es einfach diese Zeit gebraucht.

Jetzt ist möglicherweise der richtige Zeitpunkt alles aufzuschreiben.

Der richtige Zeitpunkt, wo die Finger einfach über die Tastatur rasen. Schmerzhaft aber man findet Worte dafür.

Es mag vielleicht das Bild sein, dass sich der Nebel lichtet. Gefühle ordnen sich, dafür hat es die Zeit gebraucht die inzwischen vergangen ist. Die Zeit, die man aber gar nicht vergehen lassen möchte.


Es ist ein einziger, großer Widerspruch in sich.

Gefühlt in allem...

ja, kein Wunder dass kaum jemand Trauernde versteht.

Ich habe dafür Verständnis.

Ich verstehe mich selber oft nicht.


Ich frage mich, wie sich das für jemand Außenstehendes anhört…

Wie genervt mögen manche schon sein, wenn sie mein 50. TikTok oder Instagram post mit den gleichen Bildern nur mit einem anderen Lied sehen. Oder gar mit dem gleichen Lied, weil es einfach so gut passt.

Es gibt keine neuen Bilder mehr

Es gibt keine neuen Erinnerungen mehr

Wir können nur noch an dem festhalten, was wir hatten. Es immer und immer wieder erzählen, die gleichen Geschichten, die gleichen Bilder, die gleichen Erinnerungen...





2 Yorum


Misafir
16 Mar

😌😌😌❣️❣️❣️

Beğen

Misafir
08 Mar

Danke für das teilen deiner Gedanken!

Beğen
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Hi, danke fürs Vorbeischauen!

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Danke für die Nachricht!

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